„Gesellschaftliche Strukturen reproduzieren sich mittels selbsterhaltender Prozesse“, diagnostizierte der Systemtheoretiker Niklas Luhmann in den 1980er Jahren. Jedes System strebt nach Wachstum. Permanent. 30 Jahre später stellt der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes (dbb) Klaus Dauderstädt während des Beamtentages in Köln klar: „Wir wollen, dass unser Staat zu seiner Verantwortung steht, die wir gegenüber den Staatsbürgern zu erfüllen haben.“ Der große Papa dürfe sich nicht „zugunsten der Unternehmen“ zurückziehen. Seine Diagnose diktiert er der Journaille nicht ohne Hintergedanken in die Blöcke. Er rechnet derzeit damit, dass in den kommenden 15 Jahren Abertausende von Sessels in deutschen Amtsstuben ungewärmt bleiben werden. 700.000 Hintern werden fehlen. „Personalmangel“ nennen dies Dauderstädt und sein dbb.
Das größte Unglück soll demnach über die Steuerfahndung und den Zoll hereinbrechen. „Die personelle Unterausstattung der Finanzbehörden bringt vor allem Vorteile für die Unternehmen,“ warnt der Gewerkschafts-Boss vor den Geldsäcken der Republik. Doch selbst Auge in Auge mit dem Bürokratie-GAU kann Dauderstädt noch seine rhetorische Finesse ausspielen: „Bei den millionenschweren Stapeln unerledigter Vollstreckungsakten in den Zollverwaltungen spielt die vom Philatelisten zu entrichtende Einfuhrumsatzsteuer für Briefmarken aus dem Vatikan nicht die dominante Rolle.“
Seine feuchten Augen rühren jedoch nicht von derlei Witzchen. Nein. Die Lage ist ernst! „Es herrscht Land unter in den Finanzämtern. Von den 8,5 Millionen Betrieben, die in den Karteien der Finanzämter stehen, werden jährlich nur 200.000 überprüft, also nur zwei Prozent.“
In Zukunft werde schlicht das Personal fehlen, um Milliarden Euro mehr jener Einnahmen zu sichern, „die der Finanzverwaltung rechtlich zustehen.“ Der Sheriff von Nottingham hätte es nicht besser sagen können: „Laschheit hier untergräbt die Steuermoral im ganzen Land, liebe Steuerpflichtige.“ Seid gewarnt Ihr Unholde da draußen, die Ihr Euer Geld behalten wollt.
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erinnert uns währenddessen an die weiterhin überaus bedrohliche Realität: „Wir erleben derzeit einen kraftvollen, selbstbestimmten und handlungsfähigen Staat.“ Doch sein Gegenüber Dauderstädt mag es kraftvoller. Auch in puncto Streiks sei das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht: „Die bundesdeutsche Tarifwelt kann Probleme aushalten, auch wenn der Glanz der verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit gelegentlich getrübt erscheinen mag. Wir leiden nicht an gnadenlos und permanent geführten Arbeitskämpfen, die Wirtschaft und Bevölkerung quälen und lahmlegen.“ Seine Bürokraten können also auch anders, und davon noch ganz viel mehr, wenn Sie ihre Sessel gefährdet sehen.
Lassen Sie sich, liebe Leser, jedoch nicht die Stimmung vermiesen. Zwischen den Zeilen dieser kleinen Meldung ist Anlass zur Freude verborgen. Es herrscht „Land unter“ in deutschen Finanzämtern. Stoßen wir also an auf wogende Wellen und steigende Fluten. Prost!
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